Das Evangelium nach Pilatus

Zusammenfassung

„In ein paar Stunden kommen sie mich holen. Sie werden glauben, daß sie mich überraschen ... Ich warte schon auf sie. Sie suchen einen Schuldigen und finden einen Komplizen."

Auf dem Ölberg wartet ein Mann darauf, daß ihn die Soldaten zur Hinrichtung abführen. Welche übernatürliche Macht hat aus ihm, dem Sohn eines einfachen Zimmermanns, einen Aufwiegler und Wundertäter gemacht, der Liebe und Verzeihung predigt? Drei Tage später, am Ostermorgen, leitet Pilatus eine polizeiliche Untersuchung ein, die sich überaus abenteuerlich gestalten wird. Der Leichnam des Magiers aus Nazareth, den er hatte hinrichten lassen, ist nämlich verschwunden.

Rezensionen

L'Express - « Das Evangelium nach Pilatus »

(...) Es hat acht Jahre gedauert, bis Éric-Emmanuel Schmitt sein Evangelium nach Pilatus abschließen konnte, einer der aufregendsten, bilderstürmerischten Romane dieser Büchersaison. Der Stil ist nüchtern, schnörkellos, Schmitt tut gut daran, auf die schlagfertigen Dialoge zu verzichten, die seine Bühnestücke so erfolgreich gemacht haben. Der rote Faden, der sich durch den Roman zieht, ist die Frage: „War sich Christus seines Messiastums bewußt?"

Seit zweitausend Jahren ist die theologische Tradition geteilt. Die einen glauben, Jesus habe von Anfang an gewußt, daß er der Messias ist; die anderen vertreten die Meinung, dass er sich dessen erst nach und nach bewußt geworden sei. Schmitt wählt einen dritten Weg, einen pascalschen: Christus geht bei ihm eine Doppelwette ein. Zunächst setzt er darauf, daß er Gottes ist und nicht des Teufels; dann, daß er wirklich Gottes Sohn ist. Doch um das zu beweisen, muß er die Prüfung durch das Kreuz und die Auferstehung auf sich nehmen.

Der Romantitel ist nicht ganz zutreffend. Das erste Drittel des Buchs besteht nämlich aus einem Prolog mit dem Titel: „Bekenntnis eines zum Tode Verurteilten am Abend seiner Verhaftung". Erst im zweiten Teil schildert Pilatus in einer Reihe von Briefen, die an „seinen lieben Titus" adressiert sind, seine Version der Ereignisse.

Jesus also. In einem Judäa, das die Römer um ihren Verstand bringt, nehmen Propheten und Erlöser überhand. Jesus konsterniert vor allem die Rabbiner. Er lacht, trinkt, ißt gerne, unzählige Frauengeschichten werden ihm nachgesagt. In Traîne, wo er sich mit Betrunkenen und gefallenen Mädchen abgibt, macht er seinen eigenen Brüdern Schande. „Was sollen wir mit dir bloß machen?", fragt sich der Rabbi von Nazareth. Doch das Entscheidende: Jesus bekennt sich zu einer Religion der Liebe, die althergebrachte Normen untergräbt. Um ein richtiger Messias zu sein, braucht es eine Strategie, ein Ziel, Ehrgeiz. Er hat nur die Liebe als Botschaft. Unmöglich sowas. „Mein lieber Jeschua", sagt ihm seine Mutter, „du sollst nicht zu sehr lieben. Sonst wirst du einmal sehr viel leiden müssen." Sie hatte mehr als recht. Jesus wird leiden. Sehr viel.

Als „schlechter Zimmermann" und „schlechter Jude" sieht seine Zukunft ziemlich düster aus. Aus reiner Verzweiflung besucht er seinen Cousin Johannes den Täufer, den er mit seinem Gehabe eines entflammten Propheten zunächst für einen Hochstapler hält. Doch siehe da, Johannes erkennt in ihm den Messias! Und mit den ganzen Wundern, die ihm jedesmal zugeschrieben werden, beginnt für Jesus der Ärger erst recht. Er selbst kann nicht so recht daran glauben, ja er hat sogar seine Jünger im Verdacht, in seinem Namen einen Schwindel aufzuziehen! Und abgesehen von seinen lebenspraktischen Ratschlägen ist Jesu Anhängern dessen Lehre so ziemlich egal.

Jesus zweifelt mehr denn je. „Schon seit dreißig Jahren weiß jeder über mein Schicksal Bescheid, nur ich nicht." Denen, die ihn fragen: „Bist du Gottes Sohn?" antwortet er nur mit einem rätselhaften: „Das hast du gesagt!". Judas, seinem Lieblinsjünger, gesteht er: „Ich weiß nicht, wer ich bin." Judas dagegen hat verstanden: Der Provinzler Jesus muß sich nach Jerusalem aufmachen, damit die Schrift erfüllt werde; er darf sich nicht dem Hohen Rat ausliefern, denn das käme einem Schuldeingeständnis gleich, sondern er muß durch seine Nächsten verraten werden. Um den Erfolg des Unternehmens zu sichern, ist Judas bereit, über die Klinge zu springen. Als Jesus warnt: „Einer von euch muß mich verraten", opfert er sich auf.

Pilatus schlägt sich mit einem ganz anderen Problem herum. Als Garant der römischen Ordnung, unempfänglich für die „jüdische Verrücktheit", das abgelegene Judäa und vor allem diese Hauptstadt der Lüge - Jerusalem - verabscheuend, freut er sich darauf, mit gerade einmal fünfzehn Verhaftungen und drei Kreuzigungen ein eher ruhiges Paschafest zu verbringen. Doch dank eines aufsässigen Rabbiners, eines galiläischen Bäuerchens namens Jesus, in den alle Welt wie vernarrt zu sein scheint, insbesondere seine eigene Gattin, die sehr vornehme Claudia, wird daraus leider nichts.

Um diesem Wespennest zu entkommen, gibt es nur eine Lösung: den Gekreuzigten wiederfinden, ganz gleich ob tot oder lebendig! Damit nämlich das Gerücht erstickt wird, das bereits einen Wiederauferstandenen aus ihm macht. Hat Herodes damit etwas zu tun? Hat Josef von Arimathäa dabei geholfen, den Leichnam verschwinden zu lassen? Was steckt hinter der widernatürlichen Verbindung zwischen Kajaphas und dem Hohen Rat? Ist Claudia die mysteriöse vierte Frau am Fuße des Kreuzes? Ist Jesus wirklich der Phantastin Salome erschienen?

Kurzum, gibt es ein „Jesusmysterium" oder nur eine „Jesusaffäre"? In dem Maße, in dem Sherlock Pilatus mit seiner Untersuchung vorankommt, nistet sich der Zweifel in seinen Geist ein, und mit dem Zweifel die Idee des Glaubens.

Thierry Gandillet

Le Monde - « L'Evangile selon Pilate »

(...) Schmitt ist ein wundervoller Schriftsteller, er hat die Quellen studiert und verschließt sich auch nicht den gewagtesten Hypothesen; doch möchte man seinen - unstreitigen - Erfolg vor allem der Aufrichtigkeit der Absicht zuschreiben, der Demut vor dem Unerklärlichen (...)

J. Sn

Magazine Littéraire - « L'Evangile selon Pilate »

(...) Das Evangelium nach Pilatus ist ein unterhaltsamer, kurzweiliger Roman, reich an komischen Tönen. Doch er ist viel mehr, man täusche sich bloß nicht. Wenn er auch den Charakter einer amüsanten Posse hat, wenn der Autor auch mit Geschick - niemals jedoch in einem billigen Scherzton - mit dem Leben Christi jongliert, dann nicht nur aus der Freude am Fabulieren.

Im Bekenntnis Jeschuas wie auch in den Briefen seines Richters evoziert Éric-Emmanuel Schmitt wie beiläufig viele Probleme, die nichts von der Scherzhaftigkeit an sich haben, mit der sie aufgeworfen werden. In der Begegnung zwischen Pilatus und Herodes etwa scheint zwischen den Zeilen Politikerkalkül und Rassismus auf.

Das macht neben dem munteren Stil, den witzigen Einfällen, den vielen Szenen, die den Leser schmunzeln lassen, den Reichtum dieser Geschichte aus, die virtuos vom Spaß in den Ernst übergeht, vom humorvollen Augenzwinkern in den Tiefsinn. Es ist nicht verwunderlich, dass der Autor dieses Evangeliums Diderot einen Essay widmete.

Pierre-Robert Leclercq

Le Figaro - « L'Evangile selon Pilate »

( ...) Weit weg von den Themen, die gerade in sind, und weit ab vom Mainstream ist das Evangelium nach Pilatus einer der überraschendsten Romane dieser Büchersaison.

Dominique Guiou

Le Pélerin Magazine - « L'Evangile selon Pilate »

Ein sehr schöner Roman von Éric-Emmanuel Schmitt über den inneren Konflikt des Pontius Pilatus. 

(...) Éric-Emmanuel Schmitt legt hier eine leidenschaftlich geführte Untersuchung vor, in deren Verlauf der Leser so manchem Glaubensgeheimnis auf die Spur kommt.

Pontius Pilatus stellt sich und uns grundsätzliche Fragen: Ist dieser Jesus wirklich derjenige, den die Schrift verkündigte? Warum mußte er Folter und Pein über sich ergehen lassen? Was hat es mit der Auferstehung auf sich? Mit diesem Roman legt der Autor ein eindeutiges Glaubensbekenntnis ab. Doch das Evangelium nach Pilatus ist auch eine wunderbare, leicht lesbare Geschichte, die einen jeden von uns anzusprechen vermag, besonders aber vielleicht junge Menschen, die sich von der Glaubenspraxis entfernt haben (auch das will das Buch erreichen).

Aus den Evangelien schöpfend, gelingt Éric-Emmanuel Schmitt die Großtat, uns aufs Neue für etwas zu begeistern, von dem wir schon unzählige Male gelesen oder gehört haben - er erzählt mit solchem Talent, daß der Leser dem Vergnügen nicht widerstehen kann, aufs Neue darin einzutauchen.

Jean-François Fournel

Le Point - « L'Evangile selon Pilate »

Rätsel um einen verschwundenen Leichnam

Pontius Pilatus, der Präfekt von Judäa, wird zwar Jesu Leichnam nicht wiederfinden, dafür aber den Glauben für sich entdecken. Éric-Emmanuel Schmitts mystischer Krimi zieht den Leser mit hinein in eine belebende Debatte.

Da ist ein Mann, der wartet. In der ganzen Stadt gehen Gerüchte um von seiner baldigen Verhaftung. Die Soldaten glauben ihn zu überraschen. Sie suchen einen Angeklagten, doch finden in ihm einen Komplizen, der bereits weiß, daß er festgenommen, verurteilt und getötet werden wird. Er selbst hat das so gewollt, so entschieden.

Wir befinden uns im Garten Gethsemane in Jerusalem, 1967 Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt. Der Name des Mannes, der auf den ersten hundert Seiten spricht, ist Jeschua, das ist Hebräisch und heißt Jesus.

Seine Geschichte glaubten wir zwar zu kennen, doch letztlich bleibt sie immer neu zu erfinden. Das „Bekenntnis eines zum Tode Verurteilten am Abend seiner Verhaftung" zeichnet den Lebensweg des träumerischen Knaben aus Nazareth nach, dem die Rabbiner den Beinamen „Jeschua mit den tausend Fragen" geben, der sich ganz der Liebe zu den Menschen weiht, zu einem Weisen wird, dessen Ratschläge sämtlichen althergebrachten Glaubensgewißheiten widersprechen und der bis zu dem Tag die falschen Messiasse flieht, an dem der Prophet Jochanan am Ufer des Jordan in ihm „den Auserwählten Gottes" erkennt. Voller Zweifel zieht er sich in die Wüste zurück. Die dort gemachte mystische Erfahrung wird ihm die Kraft geben, das ihm vom Propheten zugeschriebene Schicksal auf sich zu nehmen.

Die Originalität dieser hervorragend ausgeführten Erzählung besteht darin, daß sie Jesus von einem äußeren Zwang der Art: „Gott will ihn!" befreit. Er selbst nimmt in freier Entscheidung das Risiko auf sich, seine möglicherweise göttliche Abstammung zu überprüfen. Doch das Bekenntnis Jeschuas ist nur der Auftakt zum nun folgenden Roman, einem Krimi. In fünfundzwanzig Briefen versucht Pontius Pilatus das „Rätsel um den verschwundenen Leichnam" zu lösen. Sein erster Brief nimmt sich noch ganz harmlos aus. Erleichtert berichtet Pilatus darin, daß die drei Tage des jüdischen Paschafestes, die einzige Zeit des Jahres, in der Ruhe und Ordnung in Jerusalem bedroht sind, ohne größere Zwischenfälle verlaufen seien. Lediglich fünfzehn Verhaftungen und drei Kreuzigungen habe es gegeben. Alles ändert sich, als Zenturio Burrus auftritt und lauthals verkündet: „Die Leiche ist weg".

Bei der Leiche handelt es sich um die Jeschuas, eines der Gekreuzigten. Pilatus hatte sich gezwungen gesehen, diesen Friedensstörer an den Galgen zu bringen. Der Leichnam muß nun wiedergefunden werden, bevor umstürzlerische Gruppen, die etwa von dem Hohepriester Kajaphas oder von Herodes Antipas, dem Herrscher Galiläas, angeführt werden, Jerusalem auf den Kopf stellen. Doch die Ermittlungen bleiben erfolglos. Kajaphas und Herodes sind ob des verschwundenen Leichnams genauso beunruhigt wie der Präfekt. Und es kommt noch schlimmer: zwei Frauen behaupten, Jeschua begegnet zu sein und mit ihm gesprochen zu haben. Da muß es sich ja wohl um falsche Zeugen handeln.

Doch, siehe da, es treten noch weitere Zeugen auf, und zwar solche, die über jeden Verdacht erhaben sind. Das heißt also, daß jemand sich als Jeschua ausgibt, seine Rolle spielt? Diese Hypothese läßt sich freilich nicht lange halten: Wenn er am Leben ist, kann das nur heißen, daß er nie tot war; denn niemand kann von den Toten wiederauferstehen. Die ärztliche Unterschung scheint diese Hypothese zunächst zu bestätigen, doch wird auch sie fallengelassen, nachdem Pilatus, der sich einige Minuten im Grab aufgehalten hatte, in dem Christus zwei Tage und zwei Nächte zubrachte, beinähe erstickt wäre. Und schließlich gibt es da ja auch noch eine Frau, die sich für Jeschuas Tod verbürgt. Sie war dabei, hat alles gesehen. Ihr Name: Claudia Procula, die Gattin des Präfekten. -

Pilatus führt seine polizeiliche, politische, metaphysische Untersuchung mit einer Akribie, die als kartesianisch bezeichnet werden kann, gründet sie sich doch auf das gesamte Instrumenatrium des Zweifels. Doch nachdem Pilatus alle denkbaren Lösungsmöglichkeiten vergeblich durchgegangen ist, wird er nach und nach dazu veranlaßt, die Wege der Ratio zu verlassen und den Weg des Glaubens einzuschlagen. 
Auf der Suche nach seiner Frau, die den Jüngern Jeschuas gefolgt ist, schließt sich Pilatus auf seinem Weg zum Jordan jenen Frauen und Männern an, die als Erkennungszeichen einen Fisch in den Sand malen. Seine Liebe zu Claudia wird ihn zu der umfassenderen Liebe führen, die die neu entstehende Religion verkündet.
Wird Pilatus am Ende Christ?

Der Weg des Glaubens

Éric-Emmanuel Schmitt hat seine Talente als Philosoph, Dramatiker und Romancier gebündelt, um diese Erzählung zu ersinnen, die einer Schachpartie gleicht: jeden Moment wird man gezwungen, die Züge zu beurteilen und die jeweiligen Gegenzüge zu finden. Das Evangelium nach Pilatus liefert keinen neuen Gottesbeweis, sehr wohl aber den Beweis dafür, daß der Roman, das geschriebene Wort es immer wieder vemögen, unseren Blick auf die Welt, unser Verständnis der Welt zu erneuern.

Pierre Billard

Le Figaro - « L'Evangile selon Pilate »

(...) Schmitt hat einen fesselnden Plot ersonnen; so hofft der Leser - obgleich er die offiziellen historischen Fakten kennt - bis zum Ende auf einen Meinungsumschwung des Präfekten des Kaisers Tiberius. Der Leser wird auch mit überraschenden Hypothesen wie dieser konfrontiert: Judas hat Jesus auf dessen eigene Bitte hin der Polizei überstellt, denn der Erlöser will, daß sein Schicksal als Hingerichteter erfüllt werde (...)

Schmitt schreibt ein gepflegtes, klares, kraftvolles Französisch. Seine Sätze sind einfach gebaut und wohlrhythmisiert. Dank Schmitt riecht man förmlich, wie der Erde des Nahen Ostens einnehmende Düfte entströmen.

Ein angenehmer Kontrast zum Gossenkult, den gewisse Verlage in Mode gebracht haben, doch auch nicht zu salbungsvoll.
Es ist mutig von einem noch jungen Autor, sich den aktuellen kommerziellen Gepflogenheiten entgegenzustellen, die im übrigen auch nicht immer den erhofften Gewinn einbringen. So hat also seichte Unterhaltung noch nicht überall den Gehalt verdrängt. Man fühlt bei der Lektüre den Schmerz leidender Körper mit; viele Seelen in Not begegnen einem auf diesen überraschenden Seiten.

Eric Ollivier

République des Pyrénées - « L'Evangile selon Pilate »

(...) Meisterhaft: Éric Emmanuel Schmitt hat Figuren geschaffen, die in den Evangelien einen anderen Namen, einen leicht andere Geschichte haben, und öffnet uns die Augen dafür, was an ihren Intuitionen, Worten und Taten so Besonderes war, dessen sie sich selbst nicht bewußt waren.

(...) Viele haben über Jesus - er sei hier mit seinem bei uns überlieferten Namen benannt - geschrieben; Schmitts Roman läßt uns vor allem an Vigny und sein Gedicht Mont des Oliviers denken: der Romanicer trifft auf den Poeten, mögen auch die Worte nicht dieselben sein.

Claudia, die Frau des Pilatus, gehört ebenfalls zu denen, für die das Mysterium etwas grundlegend Wichtiges ist. Die Liebe und der Glaube sind wichtiger als die Ratio. So sind auch die charakteristischsten Seiten die, die dem leeren Grab gewidmet sind.

Was ist aus dem Gekreuzigten geworden? Welches Bild werden die, die ihm begegnet sind, vom „Auferstandenen" vermitteln?

(...) Ein ganz besonderes Buch.

A. Brohan

Républicain Lorrain Dimanche - « L'Evangile selon Pilate »

Éric-Emmanuel Schmitt ist gewiss einer der größten zeitgenössischen Dramatiker.

(...) In seinen Stücken formuliert Éric-Emmanuel Schmitt die großen metaphysischen Fragen gewissermaßen neu, verleiht ihnen, wie er selbst sagt: „Kraft, Frische, Mysterium". Das gleiche gilt für den jetzt erschienenen Roman. Das Evangelium nach Pilatus (Albin-Michel) ist ein ehrgeiziges, erstaunliches Buch, zutiefst persönlich und zugleich von universeller Bedeutung.

(...) Es gewährt dem Leser einen sehr originellen Zugang zu Christus, der zuweilen den jüngsten Forschungsergebnissen der Exegeten nahekommt. So entdeckt Jesus erst nach und nach wer er wirklich ist, wird sich erst allmählich seiner Mission bewusst; seine Menschlichkeit wird herausgestellt. Der Schriftsteller gibt ganz offensichtlich das Seine dazu: Er läßt Jesus sich verlieben (in eine  gewisse Rebekka, die Mutter des im weiteren Verlauf der Erzählung wiedererweckten Kindes), er aktzentuiert die Rolle Johannes des Täufers, stellt die tief-innige Beziehung zwischen Vater und Sohn ebenso wie die unwiderstehliche Kraft der Liebe auf seine eigene Weise dar.

Am originellsten ist vielleicht die gemeinhin unter dem Namen Judas bekannte Figur als Freund, der zum Denunzianten wird, als Verräter aus Freundschaft.

R. Bichelberger

Midi Libre - « L'Evangile selon Pilate »

(...) Ihrer Bedeutung entsprechend wollte Éric-Emmanuel Schmitt die beiden großen Mysterien des Christentums - ganz offensichtlich sind das die Fleischwerdung (der Glaube an den menschgewordenen Gott) und die Auferstehung (der Glaube an die Auferstehung Jesu) - behandeln, in Romanform zwar, doch gestützt auf solide historische und exegetische Grundlagen.

Im ersten Teil des Buchs zeichnet Schmitt die innere Entwicklung von Jesus nach, der sich über seine Aufgabe, seine Identität klarzuwerden versucht, und damit auch über die Fleischwerdung. Wenn er wirklich Mensch ist, wenn er nicht ein Gott in einer menschlichen Hülle ist, der seine Rolle als Mensch spielt, dann ist er eben in vielerlei Hinsicht „schlicht und einfach ein Nicht-Könner: ein Nicht-alles-wissen-Könner. Ein Nicht-alles-tun-Könner. Ein Nicht-sterben-Könner." Jesus zweifelt, wird sich aber nach und nach durch die anderen, dank der anderen seines außergewöhnlichen Schicksals bewußt.

(...) So verfolgt er seinen Weg, geht ihn mit dem hier als Lieblingsjünger dargestellten Judas als Komplizen bis in den Tod.

Nun wendet sich das Buch dem zweiten Thema zu. Die Handlung wird aus der Sicht des Pilatus geschildert, des Römers, der Jesus auf Verlangen der Hohenpriester kreuzigen läßt und kurze Zeit später erfährt, daß der Leichnam des von ihm als „Magier von Nazareth" Bezeichneten verschwunden ist. Die Menschen reden davon, daß der Gekreuzigte wiederauferstanden sei. Pilatus, der Skeptiker, zieht alle rationalen Erklärungen in Betracht und leitet eine Untersuchung ein, die er mithilfe seiner Schergen führt. Wir haben hier fast einen Kriminalroman vor uns, einen Krimi, der freilich viel mit Psychologie arbeitet und zuweilen auch mit Mystik; denn die Frau des Pilatus, Claudia, erzählt diesem eines Morgens, daß auch ihr Jesus erschienen sei. Während der ganzen Untersuchung ist Pilatus also in einem zweifachen Dialog begriffen: zum einen mit den Juden und Römern, die die Auferstehung schlicht für einen Schwindel halten, zum anderen mit seiner Frau, die glaubt.

Es ist ein sehr origineller Einfall, Jesus nach der Kreuzigung mit den Augen des Pilatus zu sehen. Die Erzählung ist wunderbar ausgeführt, in einem lebendigen Stil verfaßt. Immer wieder geht der Ernst in den - nie fehlenden - Humor über. Gewiß, das ist eine Übung in Virtuosität, die aber sehr weit führt, nämlich bis zum Wesentlichen.

Jacques Duquesne

Dernières Nouvelles d'Alsace - « L'Evangile selon Pilate »

Die Herausforderung durch ein freies und tiefes Denken

Dieses mutige, bilderstürmerische, brillante Buch lädt dazu ein, sich dem Mysterium des Glaubens über eine polizeiliche Untersuchung  zu nähern. 

Es gibt zwei Arten von Autoren: Schreiber und Schriftsteller. Die Schreiber schreiben nur ab, adaptieren, plagiieren. Die Schriftsteller interpretieren ein und dieselbe Geschichte kraft ihrer eigenen Phantasie, setzen jeweils eigene Akzente.

Éric-Emmanuel Schmitt ist eindeutig ein Schriftsteller, ein Meister seines Fachs, sich seines Wertes bewußt. Sein ungewöhnliches Evangelium wird eines Tages sicher ebenso bekannt sein wie die faszinierenden Theaterstücke, durch die er berühmt wurde. Es ist ein bilderstürmerisches, brillantes Evangelium, das eben das bewirkt, was man von solchen heiligen Schriften erwarten möchte: Es regt einem zum Nachdenken an, nicht zum Nachbeten.

Schmitt versucht zu begreifen, was in einem Menschen vorgeht, der weiß, daß er nur noch wenige Stunden zu leben hat. So besteht der erste Teil des Romans aus einem von Unruhe und Zweifel gekennzeichneten Monolog, in dem sich Jesus am Abend seiner Verhaftung am Ölberg fragt: „Wie ist das alles nur so weit gekommen?"

Gleich zu Beginn greift Schmitt ein heikles Thema auf: die Fleischwerdung ist eines der größten Mysterien des Christentums, doch über deren Deutung streiten sich die Theologen seit Jahrhunderten. Die einen vertreten die Ansicht, daß sich Jesus schon von Geburt an seines Schicksals bewußt war; die anderen, daß er sich erst nach und nach seiner Sendung bewußt wurde. Schmitt tendiert zur zweiten Hypothese, sie um den Gedanken erweiternd, daß diese Bewußtwerdung nur möglich war, indem Jesus sich die Frage stellte: „Was ist der Mensch?". 

Nicht zufällig versuchten sich von Plato bis Kant die größten Philosophen in der Beantwortung dieser Frage. Als guter Philosoph geht Schmitt noch weiter. Jesus geht bei ihm zwei - Pascalsche - Wetten ein: nach seinem freiwilligen Rückzug in die Wüste setzt er darauf, daß in seinem Inneren nicht der Teufel, sondern Gott wohnt; nach der Wiederauferstehung von Rebeccas Sohn, daß die durch ihn vollbrachten Wunder wirklich sind. Jetzt bleibt aber noch folgendes Paradox: Wie konnte er nur einen solchen Haß auslösen, der ihn am Ende sogar ans Kreuz bringen sollte, wo er doch immer nur von Liebe sprach?

Vom Rätsel zum Mysterium

Die Antwort darauf kann uns vielleicht Pilatus geben. Doch zunächst: Was wissen wir eigentlich über Pilatus? Das, was wir im Religionsunterricht gelernt haben, nämlich nichts. Wie vor ihm Roger Caillois erfüllt Éric-Emmanuel Schmitt die Figur des römischen Beamten mit Leben und erforscht dessen verschlungene Seelenpfade. [...] Wer ist Pilatus? Ein Soldat, den nur eines umtreibt: die Aufrechterhaltung der Ordnung. Pilatus, das ist so etwas wie Pasqua in Jerusalem. Aber Pilatus, das sind auch wir: er ist der Prototyp des modernen Menschen. Ganz Pragmatiker macht er sich nur eine politische Vorstellung von den Dingen. Und da die Sache mit Jesus eine Bedrohung der römischen Ordnung darstellt, leitet Pilatus eben eine Untersuchung ein über das Verschwinden des Leichnams und dessen mysteriöses Wiederauftauchen drei Tage später.

Den Gerüchten von der Wiederauferstehung setzt dieser eigensinnige Beamte die Vernunft entgegen. Den äußeren Schein wahren, die Vernunft wahren, das heißt beweisen, daß eine Wiederauferstehung nicht möglich ist, darauf kommt es Pilatus in erster Linie an. Um das zu erreichen, tut er alles, auch auf die Gefahr hin, daß er die Vernunft dabei überstrapaziert: Pilatus ersinnt Verschwörungstheorien, erwägt die Existenz eines Doppelgängers, liefert den medizinischen Beweis, daß es unmöglich ist, innerhalb weniger Stunden am Kreuz zu sterben.
Doch nach und nach wird sich dieser Mann, der sich einem Rätsel gegenüber glaubte, bewußt, daß er hier vor einem Mysterium steht. Zu einem Rätsel gibt es immer eine Lösung, ein Mysterium aber reißt den, der sich ihm nähert, immer tiefer in einen Sog der Reflexion.

Glauben oder Zweifeln?

Wie bisher noch alle seine Figuren läßt Éric-Emmanuel Schmitt auch Pilatus am Rande des Abgrunds stehen. Der Jude Jesus hat die Weltsicht des Pilatus verändert, dabei hatte dieser nur die Wahrheit gesucht (wofür lohnt es sich zu kämpfen, zu sterben, zu leben?). Die Worte Claudia Proculas, der Gattin des Pilatus, die nach Jesu Auferstehung Christin wurde, dürften all denen, die behaupten sich nicht für Christi Geschichte zu interessieren, noch lange im Ohr klingen: „Glauben und Zweifeln sind ein und dasselbe, Pilatus."

„Atheist ist nur der Gleichgültige"

Auch hier haben wir wieder Pascal. Gott ist in Gestalt der Frage nach ihm in uns gegenwärtig. Er ist nicht anwesend (da wir ihn nun einmal nicht in der Welt sehen), aber er ist auch nicht abwesend (da wir uns die Frage nach seiner Existenz stellen): Er existiert in Gestalt von Fragen, die uns nicht loslassen. Glauben und Zweifeln sind die beiden Seiten einer Medaille.

Das Evangelium nach Pilatus ist ein tiefgründiges, nützliches Buch, ein Buch, das all diejenigen begeistern wird, die das freie Denken über alles stellen, die ein hartnäckiges Mißtrauen gegenüber jenen hegen, die zu wissen vermeinen, und gegenüber Konventionen, die das Denken verhindern.

François Busnel

Veröffentlichungen

  • Erschienen auf Bulgarisch bei Lege Artis Publishing House
  • Erschienen auf Deutsch bei Ammann Verlag en 2004, Übersetzung von Brigitte Grosse : Das Evangelin nach Pilatus bei Fisher en 2007
  • Erschienen auf Finnisch bei Like
  • Erschienen auf Griechisch bei Editions Periplous
  • Erschienen auf Italienisch, bei Edizioni San Paolo, 2002, Übersetzung von Lia Del Corno Guagnellini: Il Vangelo secondo Pilate
  • Erschienen auf Japanisch bei Yumiko Sakara, 2001
  • Erschienen auf Koreanisch bei Moonwhamadang Publishing, 2002
  • Erschienen auf Lettisch bei Janis roses
  • Erschienen auf Niederländisch bei Atlas
  • Erschienen auf Norwegisch bei Pantagruel Publishers
  • Erschienen auf Polnisch bei Wydawnictwo Literackie en 2003, Übersetzung von Krystyna Rodowska
  • Erschienen auf Portugiesisch bei Ambar, 2002
  • Erschienen auf Portugiesisch (Brazil) bei Ediouro, 2002, Überseztung von Carlos Correia Monteiro de Oliveira
  • Erschienen auf Rumänisch bei Humanitas Fiction
  • Erschienen auf Russisch bei Ast Publisher und Azbooka
  • Ershienen auf Serbisch bei Laguna
  • Erschienen auf Spanisch bei Editions Edaf/Madrid en 2001, Übersetzung von Tomas Onaindia: El Evangilio segun Pilatos
  • Erschienen auf Slovenisch bei Vale Novak Publishers
  • Erschienen auf Tschechisch bei Garamond
  • Erschienen auf Türkisch bei Everest Yayinlari en 2001, Übersetzung von Nermin Acar