Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Zusammenfassung

Zweiter Teil des Cycle de l’invisible

Die hinreißende Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft. Manchmal klaut Moses, der in Paris lebt, Konserven im Laden von Monsieur Ibrahim und glaubt, dass dieser nichts merkt. Doch der hat den jüdischen Jungen schon längst durchschaut. Denn Monsieur Ibrahim, der für alle nur »der Araber an der Ecke« ist, sieht mehr als andere. Er ist ein verschmitzter Weiser, der viele Geheimnisse kennt - auch die des Glücks und des Lächelns.

 

Anmerkungen  

« Brüssel, den 16. November 2004 Eric-Emmanuel Schmitt »

Es gibt Texte, die man so selbstverständlich in sich trägt, daß man sich nicht einmal ihrer Wichtigkeit bewußt ist. Sie schreiben sich wie von selbst nieder, es ist wie wenn man ein- und ausatmet. Man atmet sie eher aus, als daß man sie bewußt verfaßt.

Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran gehört zu dieser Art von Texten. Ich habe ihn in wenigen Tagen heruntergeschrieben, um damit einem Freund eine Freude zu bereiten. Er hat sich mir sachte und ohne Mühe aufgedrängt. Nie hätte ich mir vorstellen können, daß er so erfolgreich sein, in der ganzen Welt bekannt würde. Noch weniger hätte ich mir vorstellen können, daß man mich in vielen Ländern seitdem als „der Autor von Monsieur Ibrahim“ bezeichnen würde. Bruno Abraham-Kremer, ein befreundeter Schauspieler, war mich einige Tage in meinem Haus in Irland besuchen gekommen. Er war von einer Reise in die Türkei zurückgekehrt: er hatte dort die ausgedorrten Gegenden Anatolies durchstreift, Sufiklöster besucht, mit Derwischen im Kreis getanzt, um zu beten… Er war ganz erfüllt von mythischen Gedichten aus der islamischen Tradition. Dann sprachen wir über Rumi, diesen großartigen Schriftsteller und Weisen, über die Demut, zu der er rät, über den Tanz als Form des Gebets. Während wir so sprachen, entschwebte mein Geist auf einem fliegenden Teppich in Richtung Morgenland.

Weil der Ursprung eines klug geführten Lebens oft in der Kindheit liegt, ergaben wir uns der Erinnerung an unsere Großväter, und wurden uns bewußt, daß sie uns in dem Maße beeinflußten, in dem wir sie liebten. Zwischen den fröhlichen und friedlich dreinschauenden Mienen unserer Vorfahren, lugte schon die Nasenspitze Monsieur Ibrahims hervor. Dann erzählte mir Bruno seine Familiengeschichte und ich ihm die meine...

Als Bruno Abraham-Kremer sich von mir verabschiedete, versprach ich ihm, daß ich eines Tages für ihn einen Text schreiben werde, der unsere Liebe zu jener Form des Islam und die Erinnerungen an unsere Jugendzeit verbinden würde. Doch kaum saß er im Flugzeug, begann ich auch schon zu schreiben. Momo sprach ganz von alleine. Ich brauchte nichts anderes tun als dem zu lauschen, was er mir diktierte. Eine Woche darauf rief ich schon Bruno Abraham Kremer an.

- „Ich habe den Text geschrieben, den ich dir versprochen habe.“
- „Ah ja… du hast angefangen?“
- „Nein, ich habe ihn fertig. Wo bist du gerade?“
- „In Paris. Unterwegs.“
- „Ich würde ihn dir gerne vorlesen. Steht irgendwo eine Bank in Deiner Nähe, wo du dich hinsetzen kannst?“
- „Nein. Aber ich kann mich an den Gehwegrand setzen. Schön, jetzt habe ich meine Füße im Rinnstein: ich höre.“
Dann las ich ihm ohne auszusetzen die Abenteur von Momo und Monsieur Ibrahim vor. Bisweilen lachte er, um mich anzuspornen, dann wieder hörte ich gar nichts mehr.
- „Bist du noch da? Kannst du mich noch hören?“
- „Mir sind die Tränen gekommen…“

Schließlich beendete ich das Gespräch und sagte ihm noch, daß er den Text gerne haben könne, wenn er ihn auf der Bühne vortragen wolle.

Kurz darauf hatte ich schon wieder ein anderes Projekt im Sinn, an dem ich zu schreiben begann. Für mich war die Sache abgeschlossen. Als ein Text des Herzens, mit dem Herzen geschrieben, war Monsieur Ibrahim für mich etwas ganz Persönliches. Ich dachte nie ernsthaft daran, den Text dem Publikum zugänglich zu machen, außer vielleicht noch dem Theaterpublikum.

Doch man ließ mir keine andere Wahl.

Meine Familie, enge Bekannte, meine Freunde, mein Verleger, sie alle begeisterten sich für den Text. Die Komplimente schienen mir so übertrieben, daß ich weit davon entfernt war, mich zu freuen, ja, ich begann sogar schon mich ein wenig zu ärgern: Wie kann man sich nur für diese Zeilen so begeistern, die mir überhaupt keine Angstrengung abverlangt haben, wo ich doch für andere stundenlang im Schweiße meines Angesichts geschuftet habe? Wie jedem Menschen, mag ich das, was mich Mühe gekostet, was mir Anstrengungen abverlangt hat; denn dadurch kann ich Achtung vor mir selber gewinnen.

Ich habe mich getäuscht. Der Schweiß ist nicht unbedingt ein Zeichen von Talent. Das was einem wie selbstverständlich zufällt, taugt oft mehr als das, was man sich unter viel Mühe abringt. Der Künstler muß sich eingestehen, daß gewisse Dinge ihm eben einfach fallen. Das hat mich die Erzählung Monsieur Ibrahim und ihre Erfolgsgeschichte gelehrt.

Wer sind Momo und Monsieur Ibrahim?

Zwei Menschen, denen niemand Beachtung schenkt. Momo ist ein einsames Kind. Er hat nur noch seinen Vater, der diese Bezeichnung kaum verdient, denn sein depressiver Zustand hindert ihn daran, sich um seinen Sohn zu kümmern, ihn aufzuziehen, zu erziehen, ihm die Freude am Leben zu vermitteln und seine Prinzipien. Was Monsieur Ibrahim angeht: von ihm verlangt man lediglich, daß er das Wechselgeld richtig herausgibt.

Diese beiden Menschen werden ihr Leben verändern, indem sie sich einander zuwenden. Diese Begegnung wird einen jeden von ihnen bereichern wie noch nie etwas zuvor in ihrem Leben.

Es wurde viel darüber diskutiert, daß das Kind Jude ist und der Lebensmittelhändler Moslem. Zu recht. Das lag ganz in meiner Absicht. Damit wollte ich zugleich Zeugnis ablegen und provozieren.

Zeugnis ablegen — denn an zahlreichen Orten der Erde – ganz gleich ob in europäischen Hauptstädten, Hafenstädten, amerikanischen Städten, Dörfern im Magreb – leben Menschen friedlich zusammen, die von ihrer Herkunft her verschieden sind, verschiedenen Religionen angehören. In Paris, in der Rue Bleue, wo diese Geschichte spielt – eine Straße, in der ich selbst einmal gewohnt habe und die definitiv nicht blau ist – lebte eine klare jüdische Mehrheit, einige Christen und Moslems. Die Bewohner teilten nicht nur die Straße, sondern das Alltagsleben, die Lebensfreude, die Sorgen, sie tauschten sich gegenseitig im Gespräch aus…
Freundschaften oder Neigungen entstanden zwischen Menschen, die ein wenig von überall her kamen, einer jeweils anderen geographischen oder geistigen Heimat entstammten.

In diesem Viertel der einfachen Leute, unterhalb von Montmartre gelegen, hatte ich das Gefühl, an einem reichen Ort, einem Ort des Überflusses zu sein, wo Menschen aus unterschiedlichen Kulturen aufeinandertrafen, füreinander Interesse zeigten, über ihre Unterschiede lachen konnten, wie zum Beispiel der alte jüdische Arzt, der dem moslemischen Lebensmittelhändler erklärte, daß er den Ramadan nur beginge, wenn er in Schweden lebte, dort, wo es schon ab drei Uhr Nachmittag dunkel wird.

Doch die Medien heute verbreiten nur das, was nicht klappt, nie das, was gut funktioniert. So werden die jüdisch-arabischen Beziehungen auf schädliche Weise auf den israelisch-palästinensischen Konflikt reduziert, wobei Zeiten der Verständigung und des friedlichen Zusammenlebens einfach außer Acht gelassen werden. So entsteht der Eindruck eines unüberwindbaren Gegensatzes. Ich will nicht das Tragische an diesem Konflikt leugnen, doch darf das wahre Antlitz der Welt nicht mit einem engumgrenzten Teil der Welt verwechselt werden, ebenso wenig mit dem Bild, das Journalisten und Politiker zeichnen. Ich hielt es für wichtig, eine glückliche Geschichte über die Brüderlichkeit zu erzählen. Es machte mich sehr stolz, als ich erfuhr, daß zum Beispiel in Israel die Friendensbefürworter, Araber, Christen und Juden durch Monsieur Ibrahim und die Blumen des Korans versuchen, die Hoffnung, die sie hegen, auch anderen zu vermitteln. Sie führen das Stück im selben Theater abwechselnd an einem Abend in der arabischen, am anderen in der hebräischen Fassung auf...

Provokant war es von mir ein positives Bild des Islam zu vermitteln, gerade in dem Moment, wo die Terroristen das Bild dieser Religion durch ihre abscheulichen Taten zur Unkenntlichkeit verzerren. Wenn heute der Islamismus den Islam beschimpft, wenn der Islamismus die Erde verseucht, dann müssen wir dringend unterscheiden lernen zwischen Islam und Islamismus, dann müssen wir aus unserem Herzen diese irrationale Angst vor dem Islam herausreißen und verhindern, daß eine Religion, von deren tausendjähriger Weisheit sich Millionen von Menschen leiten lassen, mit der radikalen und todbringenden Fratze gewisser Agitatoren verwechselt wird.

Geschichten spielen eine Rolle in unserem geistigen Leben, auch die kleinen Geschichten mit ihren unbedeutend erscheinenden Protagonisten. Die Liebe, die Monsieur Ibrahim und Moses vereint, weil sie in Menschen aus Fleisch und Blut auftritt, deren Gefühle den unseren gleichen, diese Liebe baut unsere Angst vor dem anderen ab, diese Angst vor dem, der sich von uns unterscheidet.

Monsieur Ibrahim lehrt Momo grundlegende Dinge: wie man lächelt, sich miteinander unterhält, daß man sich nicht zu sehr bewegen soll, daß man Frauen mit den Augen des Herzens betrachten soll und nicht mit denen der Begierde. Er nimmt ihn mit in eine beschaulichere Welt und bringt ihn sogar dazu, den Gedanken an den Tod zu akzeptieren. All das hat Monsieur Ibrahim aus seinem Koran gelernt. Er hätte es auch woanders lernen können, aber er hat es eben aus seinem Koran gelernt: „Ich weiß, was in meinem Koran drin ist“, wiederholt er ständig.

Als Momo das alte Exemplar von Monsieur Ibrahim bekommt, entdeckt er, was im Koran drin ist: getrocknete Blumen. Der Koran von Monsieur Ibrahim, das ist ebenso der Text wie das, was er selbst in ihn hineingelegt hat, sein eigenes Leben, seine eigene Lesart, seine eigene Deutung. Spiritualität besteht nicht darin, Glaubenssätze einfach nachzuplappern, sondern deren Sinn zu erfassen, deren Geist zu verstehen, die Nuancen, die Reichweite... Die wahre Spiritualität gibt sich durch ihre Mischung aus Gehorsam und Freiheit zu erkennen. Damit ist die Frage geklärt, die mir immer gestellt wird, die Erklärung gegeben für den rätselhaften Titel, Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran.

Brüssel, den 16. November 2004
Eric-Emmanuel Schmitt

Rezensionen

Telerama - « Schmitts Erzählung ist schön, edel, ... »

Schmitts Erzählung ist schön, edel, voll Licht und Toleranz. Interpretiert und inszeniert mit einer gefühlvollen, zärtlichen Einfachheit durch Bruno Abraham-Kremer, macht sie warm ums Herz und verzaubert. Wie ein arabisches Märchen, ein Märchen aus Tausend und einer Nacht, das einem leise jemand ins Ohr flüstert.

Fabienne Pascaud

Le Figaro - « Eine schöne, verschlungene Geschichte: ... »

Eine schöne, verschlungene Geschichte: vom alten Mann zum Kind, vom Sufismus zum jüdischen Glauben verweben sich zwei Fäden zu einem zarten Band, voll tiefer Symbolik und Sinn. Darüber hinaus für alle Leser geeignet, die ganz einfach Freude an verzauberten Geschichten haben.

Armelle Héliot

Le Figaro Madame - « Eric-Emmanuel Schmitt legt hier einen überaus sanften,... »

Eric-Emmanuel Schmitt legt hier einen überaus sanften, ernsten und zugleich komischen Text vor, der uns von der Rue Bleue in Paris zum Goldenen Halbmond führt. [...]  Phantasie und Ernsthaftigkeit mischen sich in dieser wundervollen Erzählung, einer Initiationsreise, die zur Liebe zu sich selbst führt - unabdingbare Voraussetzung dafür, um mit seinen Mitmenschen ins reine zu kommen. [...] Der Leser wünscht sich, daß diese Geschichte niemals endet. Ein literarischer Hochgenuß.

Marion Thébaud

L'Express - « Ein literarisches Juwel voller Emotion und Humor... »

Ein literarisches Juwel voller Emotion und Humor. Éric-Emmanuel Schmitt stellt mit dieser ganz einfachen Geschichte über die Freundschaft zwischen Momo, einem kleinen jüdischen Jungen, und dem alten arabischen Lebensmittelhändler der Rue Bleue in Paris seine Originalität unter Beweis. Mit seiltänzerischer Gewandtheit verwirklicht er Flauberts Traum: „Schön erschiene es mir, ein Buch über nichts zu schreiben, ein Buch ohne äußere Bindung."

Martine de Rabaudy

Le Point - « Eine noble, versöhnliche Vision von der Menschheit. »

Eine noble, versöhnliche Vision von der Menschheit. Ein Buch, das all jene lesen sollten, die den Islam für eine hysterische Religion halten.

Frédéric Ferney

Actualité Juive - « Eine Begegnung zwischen Orient und Okzident... »

Eine Begegnung zwischen Orient und Okzident. [...] Eine wahre Hymne an die Toleranz, an das gute Zusammenleben nicht nur zwischen zwei Menschen verschiedener Herkunft, sondern auch zwischen einem Kind und einem Erwachsenen. Ein erfrischender Text, der verzaubert.

Michèle Lévy-Taieb

Veröffentlichungen

  • Erschienen auf Arabisch bei Dar Al Shorouk
  • Erschienen auf Baskisch bei Erein Argitaletxea
  • Erschienen auf Bulgarisch bei Lege Artis Publishing House
  • Erschienen auf Castillan bei Ediciones Obelisco en 2003, Übersetzung von Alex Arrese, auf Kastillien, bei ediciones Destino
  • Erschienen auf Chinesiesch, bei Eurasian Publishing, 2005, Übersetzung von Lin Ya-Fen
  • Erschienen auf kroatisch, Bei Edicije Bozicevic 
  • Erschienen auf Dänisch bei Bjartur/HR Ferdinand, 2004, Übersetzung von Elisabeth Ellekjaer
  • Erschienen auf Deutsch im Fischer Taschenbuch Verlag, Übersetzung von Annette und Paul Bäcker
  • Erschienen auf Englisch bei Other Press, 2003, Übersetzung von Marjolijn de Jager
  • Erschienen auf Englisch bei Methuen
  • Erschienen auf Finnisch bei Like Publishing, 2005, Übersetzung von Marja Haapio
  • Erschienen auf Galician bei Faktoria K de Libros (Vigo- Pontevedra)
  • In Georgian language, published by Bakur Sulakauri
  • Erschienen auf Griechisch, bei Opera Book, 2002
  • Erschienen auf Hebräisch bei Kinneret-Zmora-Dvir Publilshing, 2002
  • Erschienen auf Isländisch bei Bjartur Reykjavik, 2004, Übersetzung von Guorun Vilmundardottir pyddi: Hr Ibrahim og blom Koransins
  • Erschienen auf Italienisch bei Edizioni e/o Roma, 2003, Übersetzung von Alberto Bracci Testasecca
  • Erschienen auf Japanisch
  • Erschienen auf Koreanisch, bei Munkhak Segye-sa publishing co, 2005, Übersetzung von Rosa Han
  • Erschienen auf lituanien bei Alma littera, 2005
  • Erschienen auf Niederländisch bei Uitgeverij Atlas, 2004, Übersetzung von Eef Gratama
  • Erschienen auf Norwegisch bei Lanser Forlag en 2002, Übersetzung von Willy Flock: Herr Ibrahim og Koranens blomster
  • In language pesian
  • Erschienen auf Polnisch bei Wydawnictwo Znak, 2004, Übersetzung von Barbara Grzegorzewska
  • Erschienen auf Portugiesisch bei Ambar, 2003, Übersetzung von Carlos Correia Monteiro de Oliveira
  • Erschienen auf Portugiesisch (Brazil) bei Editoria Nova Fronteira, 2003, Übersetzung von Jannaina Senna
  • Erschienen auf Russisch bei Azbuka, 2004
  • Erschienen auf Schwedisch bei Storm Forlag, 2004, Übersetzung von Till Svenska und Asa Larsson: Monsieur Ibrahim och koranens blommor
  • Erschienen auf Serbisch bei Laguna, 2001, Übersetzung von Ana Stosic: Gospodin Ibrahim I evetoui iz Kurana
  • Erschienen auf Slovenisch bei Vale-Novak
  • Erschienen auf Türkisch bei Bilge Kültür Sanat, 2004, Übersetzung von Bahadirhan Bozkurt
  • Erschienen auf Ungarisch bei Europa konyvkiado, 2005, Übersetzung von Balla Katalin