Zusammenfassung

Anne lebt zur Zeit der Renaissance in Brügge, Hanna zu Beginn des Jahrhunderts im kaiserlichen Wien und Anny Lee zur heutigen Zeit in Los Angeles. Drei Schicksale, drei einzigartige Abenteuer, drei Frauen, die sich unglaublich nahe sind, so sehr ähneln sie sich in ihrem Gefühl, anders zu sein, und in ihrem Willen, dem Bild von sich selbst zu entfliehen, das ihnen der Spiegel ihrer Zeit entgegenwirft. Sie verspüren keinerlei Neigung in sich, dem zu entsprechen, was die Gesellschaft, ihre Umgebung, die Männer an ihrer Statt für sie entschieden haben: Die Flämin Anne fühlt sich zur Mystik und zur Gemeinschaft der Beginen hingezogen; Hanna, eine der ersten Patientinnen eines Freudschülers, durchbricht sämtliche gesellschaftliche und moralische Vorstellungen ihrer Zeit; Anny, der aufgrund ihres Talents eine glänzende Karriere als Schauspielerin bevorsteht, ist dabei, gegen das System Hollywood zu revoltieren. Welche der drei gleichermaßen unangepaßten Frauen, die sich nichts vorschreiben lassen, wird ihre Wahrheit und ihre Freiheit finden – und zu welchem Preis?

Rezensionen

Lire - « Die drei Heldinnen von Éric-Emmanuel Schmitt »

Éric-Emmanuel Schmitt legt einen Schachtelroman in einem ausgeprägten Kinostil vor, in dem er verschiedene Schicksale miteinander verwebt.

Welche Wahrheiten verbergen sich unter der Oberfläche? Muß man sich sein Leben erträumen, wenn die harte gesellschaftliche Wirklichkeit einem keinen Raum zur Entfaltung läßt? Wie kann man der eigenen sozialen Stellung und der eigenen Herkunft entfliehen? Kann die Kunst zum maßgeblichen Werkzeug eines erfüllten Lebens werden? All diese Fragen stellt Éric-Emmanuel Schmitt in seinen köstlichen Romanen, in denen er oftmals Frauen und ihren Lebensumständen einen wichtigen Platz einräumt. Auch sein neuester Roman, ein weiterer Schmittscher Schachtelroman, bildet hier keine Ausnahme. In „La femme au miroir“, in dem der Leser Anklänge an die Welt seines Erzählbandes „Odette Toulemonde und andere Geschichten“ findet, zeichnet der Autor das Porträt dreier Heldinnen wider Willen aus drei verschiedenen Epochen: Während Anne von Brügge zur Zeit der Renaissance lebt, versucht Hanna von Waldberg im kaiserlichen Wien, das sich unter dem Einfluß Sigmund Freuds der Psychoanalyse öffnet, ihr Leben selbständig zu gestalten. Die Hollywoodschauspielerin Anny Lee wiederum führt in der heutigen Zeit einen erbitterten Kampf um das Recht auf Andersartigkeit.
Die drei mutigen Frauen, die es ablehnen, die Wahrheit eines Menschen auf sein Bild im Spiegel zu reduzieren, verurteilen übersteigerten Männlichkeitswahn, Intoleranz und Fanatismus, die jegliche Willenskraft lähmen. Ihren Widerstandsgeist werden sie am Ende teuer bezahlen; Éric-Emmanuel Schmitt zeigt in einem erstaunlichen Nachwort die Verbindung zwischen jeder der drei Figuren auf. Der Autor legt einen durchaus traditionellen Roman vor, der aber mit seinen prächtigen Bauten, Close-ups, Standbildern, Rückblenden und Kamerafahrten nachempfundenen Sequenzen zahlreiche filmische Elemente enthält, die es ihm ermöglichen, den Leser mit den geschilderten Lebenswelten vertraut zu machen und insbesondere seine Heldinnen mit einem gehörigen Schuß Empathie und Mitgefühl wirksam in Szene zu setzen. Verschiedene Erzählstile mischend, fingiert Éric-Emmanuel Schmitt, der in sein Buch unter anderem auch eine Scheiterhaufenszene und die Schilderung einer Wolfsattacke einarbeitet, einen Briefwechsel, um das Leben von Hanna zu beschreiben, den diese mit einem gewissen Gretchen führt, ihrer angeblichen Cousine. So gerät der Erzählstrang, wie auch das gesamte Buch, unter Schmitts Feder zu einem bemerkenswerten Manifest des in Romanform gegossenen Aragonschen „Wahr-Lügens“, elegant und ohne Kompromisse in der Umsetzung.

Jean-Rémi Barland (Lire)

Le Figaro Littéraire - « Das Ewig-Weibliche anhand dreier Schicksale »

Heldinnen von gestern und heute kämpfen um ein selbstbestimmtes Leben.
Ist der neue Roman von Éric-Emmanuel Schmitt feministische Literatur? Sofern der Autor die miteinander in Beziehung stehenden Schicksale dreier nach Unabhängigkeit dürstender Frauen zur Zeit der Renaissance, zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in unseren Tagen erzählt, ist man glatt versucht, das zu glauben. Jedoch ist der Autor zu sehr Erzähler, als daß man „La Femme au miroir“ mit einer solchen ? notwendigerweise reduktionistischen ? Bezeichnung etikettieren könnte. Das vielschichtige Werk weist zugleich Merkmale der philosophischen und der psychologischen Erzählung, des historischen Romans und der modernen Fabel auf. Die erstaunliche Modernität jeder der drei Heldinnen verleiht dem Buch seine Einheit.
Doch was haben Anne, eine junge Frau aus dem Volk, die zur Zeit der Renaissance in Brüssel lebt, Hanna, die Gattin eines illustren Aristokraten im Wien der Jahrhundertwende, und Anny, ein Filmstar im Hollywood des 21. Jahrhunderts, auf den ersten Blick schon gemeinsam? Um das herauszufinden, nimmt uns Schmitt mit auf eine Reise durch die Zeit und durch die Seelen. Zwar erweist sich der Einstieg als leicht verwirrend, sieht sich der Leser hin- und hergerissen zwischen ganz unterschiedlichen Lebenswelten, doch bald schon kommt er nicht mehr los von der fesselnden Lektüre.

Blaise de Chabalier

Télérama - « Hut ab! »

Auf ebenso leichtfüßige wie ernsthafte Weise versucht Éric-Emmanuel Schmitt in seinen Büchern schwer greifbarer Frauengestalten habhaft zu werden. Dabei geraten ihm deren prekäre Schicksale durchaus faszinierender als die seiner männlichen Helden aus früheren Werken. Da er zudem komplexe und zugleich spielerisch angelegte Erzählstrukturen mag, auch Freude daran hat, sehr vielschichtige Bücher zu schreiben, die für den Leser ebenso lehrreich wie unterhaltend sind, gelingen ihm mitreißende Sagas, die sowohl auf die großen Geschehnisse der Weltgeschichte Bezug nehmen als auch auf die kleinen Ereignisse am Rande derselben, und fesselnde Schilderungen sowohl archetypischer Existenzen als auch jedermann vertrauter Lebenssituationen.
Jüngstes Beispiel: sein neuester Roman, in dem drei Frauen mit demselben Vornamen – Anne, Hanna und Anny –, freilich zu verschiedenen Epochen und an unterschiedlichen Orten – Brügge zur Zeit der Renaissance, Wien im Jahre 1900, Hollywood in der Gegenwart – scheinbar sehr weit auseinanderliegenden Lebenspfaden folgen, die aber zusammengenommen die unzähligen Facetten des Ewig-Weiblichen in seinem ganzen Zauber widerspiegeln. Die als Hexe beschuldigte Heilige, die von der Psychoanalyse überzeugte strahlende Dame von Welt, der durchgeknallte Star – die drei eigenwilligen Heldinnen werden sich auf wundersame Weise vereinigen dank der grenzenlosen Bewunderung, die der Autor dem schwachen Geschlecht ganz offenkundig entgegenbringt. In einer so frauenfeindlichen Welt: Hut ab!

Fabienne Pascaud

Direct Matin - « Schmitt und wie er die Frauen sieht »

Von einer grenzenlosen Zuneigung für seine tragischen Heldinnen erfüllt, prangert Schmitt in seinem neuesten Buch nicht nur eine einseitige Fixierung auf das rein Äußerliche, sondern auch verschiedene Formen der Unterdrückung an.
Schmitt schreibt eine poesievolle Feder, die er direkt in die Herzen und das Leid der Frauen getaucht zu haben scheint. So gibt sich der Autor von „Oskar und die Dame in Rosa“ erneut als Bewunderer und Verteidiger des schönen Geschlechts zu erkennen.

Les Echos - « Meine Schwester Anne »

Er versteht es meisterhaft, Geschichten zu erzählen, das Leben darzustellen, und beschreibt die Welt auf seine Weise – Éric-Emmanuel Schmitt beherrscht sein Romanhandwerk mit souveräner Leichtfüßigkeit. Was die Form betrifft, bringt er nichts revolutionär Neues. In „La Femme au miroir“ etwa, seinem jüngsten Werk, wendet der Romancier und Theaterschriftsteller dasselbe Verfahren an wie der Amerikaner Michael Cunningham in „The Hours“: Er erzählt das Leben dreier Frauen, die zu unterschiedlichen Zeiten leben und durch ein selbes Schicksal miteinander verbunden sind. Inhaltlich gesehen, liefert Schmitt eine mitreißende Ode an die Freiheit und an den Ungehorsam – die Frau ist die Zukunft des Mannes, sofern sie es versteht, ihre Ketten vollständig abzuwerfen.

Philippe CHEVILLEY

Veröffentlichungen

  • Erschienen auf Bulgarisch bei Lege Artis Publishing House
  • Erschienen auf Castillan bei Siruela
  • Erschienen auf Chinesiesch, bei Phoenix-Power Cultural Development Co
  • Erschienen auf Deutsch bei Fischer Verlag
  • Erschienen auf Englisch bei Europa
  • Erschienen auf Italienisch bei Edizioni e/o
  • Erschienen auf Niederländisch bei Uitgeverij De Geus
  • Erschienen auf Polnisch bei Znak
  • Erschienen auf Portugiesisch (Brazil) bei Editoria Record
  • Erschienen auf Russisch bei Azbooka
  • Erschienen auf Türkisch bei Dogan Egmont