Hotel zu den zwei Welten

Zusammenfassung

Kein Gast weiß, wie er in das Hotel zu den zwei Welten gelangt ist. Niemand weiß, wann er es wieder verlassen und wohin er dann gehen wird. An diesem merkwürdigen Ort ist alles möglich, sogar Wunder.Die Krüppel erlangen den Gebrauch ihrer Glieder wieder, die Lügner sagen die Wahrheit. Der geheimnisvolle Doktor S., der die Gäste während ihres Aufenthaltes betreut, läßt deren Fragen nur noch drängender werden.

Das Stück erzeugt eine metaphysische Spannung, bewegt es sich doch zwischen Traum und Realität, Leben und Tod, Komödie und Tragödie. Der Autor von der Besucher setzt damit seine leidenschaftlich geführte Sinnsuche fort, zeigt, daß das Geheimnis selbst Anlaß zur Hoffnung gibt.

Anmerkungen

« Ich werde oft gefragt, wie... »

Ich werde oft gefragt, wie ich auf das Hotel zu den zwei Welten gekommen bin, und auf den Aufzug. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, auch wenn ich mir noch so sehr den Kopf zerbreche.

Woher kommen die Ideen? Warum drängen sie sich einem auf?
Ich bin niemals selbst im Koma gelegen wie die Figuren meines Stücks. Aber ich habe nahe Verwandte und Freunde gesehen, die sich zu diesem geheimnisvollen Ort aufmachten; einige sind wieder zurückgekehrt, andere nicht. Was mir an denen auffällt, die wieder aus dem Koma erwacht sind, ist ihre Freude, die Freude, die sie ausstrahlen, ihr guter Appetit. Was für Genießer und Frohnaturen sie doch seitdem geworden sind! Sie selbst geben lachend zu, daß sie vorher das Leben nur sehr schlecht ausgekostet hätten. 

Diese Wandlung regte mich zum Nachdenken an. Knapp dem Tode zu entkommen, zu erkennen, daß sich unser Leben wesentlich vor dem Hintergrund unserer Sterblichkeit abspielt, diese Erfahrung, die man für äußert beunruhigend halten könnte, hat ihnen die Augen geöffnet: Leben ist nicht selbstverständlich, es ist ein seltsames Geschenk, daß man, bekommt man es zum zweiten Mal, besser zu schätzen weiß. Einzig die, die dem Tod entronnen sind, können Dankbarkeit empfinden. Ist das Glück vielleicht mit dem Nachdenken über den Tod verbunden?
Ich selbst habe sogenannte Grenzsituationen erlebt, eine, bei der ich hätte sterben können, eine andere, bei der ich eigentlich hätte sterben müssen. Leider kann ich nicht mehr darüber sagen, ich habe es stets abgelehnt, etwas aus meinem eigenen Leben zu erzählen. Ich ziehe es vor, es durch das Leben meiner Figuren zu filtern und auszudrücken; in meinen Texten, bleibt das „ich“ immer ein Pseudonym.
An der Schwelle zum Tod wurde ich überrascht, verwirrt durch das Gefühl, das mich überkam: eine heitere Gelassenheit. Ich, der ich vor einer Spinne Angst haben konnte, vor einer unangenehmen Bemerkung, einem verschlossenen Gesicht, einem Brief vom Finanzamt – und ich kann es heute noch –, empfand plötzlich weder Angst noch Bangigkeit. Die Unruhe verließ mich. Es blieb ein Gefühl der Fülle. „Alles ist gerechtfertigt“, sagte mir eine innere Stimme, es war sicherlich nicht die meine.

Sich dem Geheimnis überlassen, darum geht es in diesem Stück…
Das ist der verblüffende Weg, den Julien zurücklegt. Wie freue ich mich daß, seit das Stück aufgeführt wurde, mich Menschen immer wieder auf der Straße oder im Restaurant anhalten, mich am Arm fassen und mir diese Worte, die sie auswendig wissen, ins Ohr flüstern:
„Das Vertrauen ist eine schwache Flamme, die nichts zu erhellen vermag, dafür aber wärmt.“
Als Julien im Hotel ankommt, ist er ein typisches Kind unserer Zeit. Er ist Pessimist, Materialist, steckt voller Ängste, fährt zu schnell, liebt zu schnell, denkt zu schnell. Er hat alle Vorurteile unserer Zeit, die vorgefaßten Meinungen verinnerlicht, das heißt all die negativen Gewißheiten. Diese ideologische Last erdrückt ihn, hindert ihn am Leben, hält ihn fern von den Menschen und den Dingen, bringt ihn dazu, sich aus allen Verpflichtungen zu lösen.
Das erzwungene Warten, die Begegnungen, die er macht, das Nachdenken über sein Schicksal werden ihn von Grund auf verändern. Er verläßt das Hotel mit einer Kraft, die er nicht hatte, als er eintrat, die Kraft ja zu sagen.

Der gute Einfluß des Wartens…
Einen Augenblick hatte ich mit dem Gedanken gespielt, das Stück Die Halle der vergeblichen Schritte  zu nennen, doch ich bin davon wieder abgekommen, als ich mir bewußt wurde, daß die Schritte nicht vergeblich sind.
Mir sind häufig Fragen über diesen seltsamen Doktor S. gestellt worden. Auch ich habe mir diese Fragen gestellt, bin jedoch nicht in der Lage, auf alle eine Antwort zu geben. Warum braucht es einen Doktor für diese Reise ans andere Ufer? Weil der Arzt heute der Vermittler zwischen uns und dem Tod ist. Warum hat dieser Doktor mehrere Geschlechter? Weil er keines hat. Warum heißt er Doktor S.? Ich wollte, daß sich die Zuschauer diese Frage stellen und sie selbst beantworten. Viele Antworten wurden mir darauf gegeben, und alle haben sie mir gefallen: „Doktor S“ wegen „doctoresse “ , S wie Sphinx, Styx, Schweigen, Signe , Sérénité , Seufzer.

An einem Februarabend im Jahr 2000 legte mir Francine Bergé, eine große Tragödin, die mir die Ehre erwies, die Rolle zu übernehmen, ihre verblüffende Theorie dar. Sie erklärte, Doktor S. sei ich selbst, Schmitt, das heißt der Autor, der Bühnendichter. S, folgerte sie, stehe für Schmitt, der die Figuren kommen und gehen läßt, der ihre Krankenblätter hat, der es ablehnt, ihnen alles zu sagen, was er über sie weiß, der ein Psychodrama organisiert, richtige Auftritte und falsche Abgänge inszeniert, und der traurig eingestehen muß, daß er nur innerhalb des Hotels (der Bühne) Macht hat, keine Macht aber auf Erden (in der Wirklichkeit).

So sei der Bühnendichter, der alle Geschlechter annehme, wenn er ein Stück schreibe: der Doktor erscheint bald als Mann, bald als Frau. Und sie fügte noch hinzu: „wie du, ist er ein Bote des Ungewissen.“Ich überlasse ihr die Verantwortung, so schöne Dinge zu sagen.

Baden-Baden, Deutschland, den 20. April 2000
Eric-Emmanuel Schmitt

Veröffentlichungen

  • Erschienen auf Deutsch bei Libelle Verlag, Schuleaufgabe auf Französisch bei Klett Verlagg
  • Erschienen auf Bulgarisch bei Lege Artis
  • Erschienen auf Koreanisch bei Balgunsesang Publishing Co
  • In Persian language

Aufführungen

  • Bulgarien  ????? ????? ???? ? ???? ????
    Übersetzungen von Snéjina Roussinova-Zdravkova
    Plovdiv, Stadttheater, 01/02
    Varna, Stadttheater
    Yambol, Stadttheater
    Pernik, Stadttheater
    Sofia, Stadttheater
  • Französischsprachiges Belgien
    Brüssel, Theatre Royal des Galeries, 02/03
  • Deutschland: Hotel zu den zwei Welten
    Übersetzung: Annette und Paul Bäcker
    Baden Baden, City Theater, 2000
    Bautzen, Deutsch-Sorbisches Volktheater
    Berlin, Werkstattbühne,
    Bielefeld, Mobiles Theater
    Burberg, Theaterwerkstatt Kempten, 2005
    Chemnitz, Theater, 2009/2010
    Frankfurt, Fritz Remond Theater
    Hamburg, Altonaer Theater
    Köln, Theater der Keller, 2002
    Landesbühnen Sachsen, 04/05
    Nordtour, Tournée 05/06/07
    Osnabrück, Städtische Bühne, 00/01
    Parchim, Mecklenburgisches Landestheater, 2009/2010
    Pausa, Evanglische Spielgemeinde, 2005
    Radebeul, Landesbühnen Sachsen, 2005
    Regensburg, Stadttheater, 2005
    Speyer, Theatergruppe Prisma, 2005
    Tübingen, Landestheater, 2005
    Würzburg, Mainfrankentheater
    Würzburg, Teater Ensemble, 2009
  • Estland
    Rakvere, Stadttheater, 2001
  • Denmarken
    Herning, Team Teatret, 2008, 2009
  • Finland
    Lahti, Stadttheater, 02
    Imatra, Stadttheater, 04
    Kokkola, Stadttheater, 07
    Kotlan Kaupunginteatteri, Jan 2008
  • Italien: Hotel dei due mondi
    Übersetzung: Miro Mayer Silvera
    Milano, Theater Franco Parenti, 00/01
    Tournee 05/06
  • Frankreich
    Paris, Atelier Théâtre Actuel, 00/01
  • Griechenland
    Athênes, Amfitheater, 06-07
  • Französischsprachiges Kanada
    Quebec, Theater le Carré Magique, 2006
  • Polen
    Lisboa, Teatro Nacional D. Maria II, 06
  • Portugal
    Lisboa, Teatro Nacional D. Maria II, 06
  • Russland: ????? ???? ?????
    Übersetzung : Hélène und André Naoumoff
    Moscow, Th Soglasie
  • Schweiz
    Geneva, Theater Pitoeff, 2004
  • Tschechische Republik: Hotel mezi dvema Svety
    Prague, Th F.S. Saldy Liberec, 06-07
  • Ungarn
    Budapest, Kamaraszinhaz, 2001
  • Vereinigte Königreich
    Londres, Union Theatre, 2006
  • Vereinigte Staaten
    Übersetzung : John Clifford
    New York, Stages of Learning, 2005
    Californian Repertory, Edison Theatre, 2005