Das Kind von Noah

Zusammenfassung

Vierter Teil des Zyklus des Unsichtbaren

1942. Die Verhaftungen beginnen.

Der kleine Joseph muß sich unbedingt verstecken, weil er Jude ist. Er muß lernen, seinen Namen und seine Herkunft zu verschweigen, seine Gefühle zu verbergen.Versteckt in einem katholischen Pensionat, wächst er bei einem Pater auf. Pater Pons ist ein einfacher Mann, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, die jüdische Kultur zu bewahren. Er will sie jenen Kindern, die sich ins Pensionat gerettet haben, vermitteln, damit sie nicht ihre Identität verlieren.Unterhalb der Kirche, in der Krypta, hat Pater Pons eine geheime Synagoge eingerichtet. Nachts studiert er dort die Torah, die Kabbala, die rabbinischen Texte und sammelt dort jüdische Kultgegenstände...

Rezensionen

Lire - « Die Religionen zu hinterfragen liegt derzeit im Trend ... »

Die Religionen zu hinterfragen liegt derzeit im Trend, doch ihre Widersprüchlichkeiten herauszustellen, ohne dabei in Bekehrungseifer zu verfallen, ist eine Übung, auf die sich nur wenige Schriftsteller bisher verstanden haben. Als Schüler von Diderot bis in die Fingerspitzen hat Schmitt folgerichtig die Form der philosophischen Erzählung gewählt, um über diejenigen Religionen zu erzählen, deren Gott abwesend ist.

Nach Buddhismus (Milarepa), Islam (Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran) und Atheismus lotet er in diesem Band die Beziehungen zwischen Juden und Christen aus. Das Entscheidende bei ihm: Während konformistisch-konventionelle Vorstellungen dahin gehen, daß es Aufgabe der Eltern sei, alle Fragen ihrer Kinder über die Religion zu beantworten, stellt Schmitt sich das Gegenteil vor: das Kind geht bei ihm selbständig auf die Suche; es werden mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben. Die Kinder bei Schmitt wirken nie läppisch-naiv, verfallen nie in political correctness. Zwar stehen Momo (der kleine jüdische Junge, der ständig mit dem alten arabischen Lebensmittelhändler zusammensteckt), Oskar (der im Krankenhaus liegt und von der Frau in Rosa fasziniert ist) und Joseph (der Jude, der sich als Christ verkleidet, um der Deportation zu entgehen) außerhalb der religiösen Traditionslinie ihrer Vorfahren, doch dient diese offensichtliche Randständigkeit nur einem Zweck: der Idee Nachdruck zu verleihen, daß hier auf Erden niemand der Verantwortung enthoben ist, Schöpfer seiner selbst zu sein.

Dazu der Landpfarrer in  Das Kind von Noah  in einem pascalschen Diskurs, der in seiner Eindringlichkeit jede Katechismusstunde aufwiegt: „Die Menschen tun sich gegenseitig Böses, doch Gott mischt sich da nicht ein. Er hat die Menschen frei geschaffen [...] Gott hat seine Aufgabe vollendet. Jetzt sind wir dran. Wir sind für uns selber verantwortlich." Vater Pons glaubt, daß er aus christlicher Nächstenliebe Gutes tut; dank des kleinen Joseph wird er erfahren, daß er nicht gut, sondern gerecht ist. Schmitt präzisiert in wenigen fulminanten Zeilen das Wesen dieses grundlegenden Unterschiedes, der ein wenig an Sartre erinnert.

In den Erzählungen des Zyklus, die ohne moralisierende Belehrung auskommen, mit ihren geschliffenen aber ungekünstelten Dialogen, in denen eher angedeutet als beschrieben wird, bringt Schmitt seine Leser dazu, über ihre Alltagsidentität hinauszugehen. Vater Pons (man denkt an Pontius Pilatus) ist eine Figur der Hoffnung. Er verkörpert denjenigen, der, von der Rationalität ausgehend, die Spiritualität entdeckt. Das Kind von Noah, diese Erzählung aus Besatzungszeiten, wird den Leser nicht so schnell loslassen. Éric-Emmanuel Schmitt stellt erneut seine schriftstellerischen Qualitäten unter Beweis. Einmal mehr spielt er mit den Genres und begründet dabei die Untergrundphilosophie.

François Busnel

Le Soir - « Eine Geschichte aus finsterer Zeit »

Eine Geschichte aus finsterer Zeit. - Aus der Nacht und dem Nebel des Holocausts hat Schmitt eine lichte, kristallklare Geschichte destilliert, deren Erfolg vorprogrammiert ist. Er schildert darin eine Vergangenheit, die die Unterzwanzigjährigen zum Glück nicht miterlebt haben, und stellt sie als eine Zeit der Prüfung dar, in der sich zeigte, wer die wahrhaft Gerechten sind. Die Geschichte spielt in Belgien und handelt von jenen jüdischen Kindern in unserem Land, die den Todeslagern nur entkommen konnten, weil es Menschen gab, die den Mut hatten, sie zu beschützen. Der kleine Joseph wird von Pater Pons  - ein emblematischer Name in Schmitts Werk - gerettet, einem Priester aus Namur, der ihn nicht nur vor dem Schlimmsten bewahrt, sondern ihm auch die jüdische Religion lehrt.

Er sei eben ein „Sammler", sagt Pater Pons, und wie Noah will er die bedrohten Geschöpfe jedweder Art vor der Sintflut der Geschichte retten. Das Buch ist in einer Sprache geschrieben, in der jedes Wort zählt, sein Gewicht hat an Sinn und Emotion, oder auch an Humor, die auf plumpe Stileffekte verzichtet. Schmitt schreibt mit der Sicherheit desjenigen, der etwas zu sagen hat, der eine Überzeugung vertritt, und das ohne jeden Bekehrungseifer.

Das kleine Buch eines großen Humanisten.

Jacques de Decker

Marianne - « Der Held in Das Kind von Noah ist ein Kind ... »

Der Held in Das Kind von Noah ist ein Kind. Kinder eignen sich gut als Romanfiguren: beständig sind sie starken Gefühlen ausgesetzt, zumal, wenn ihnen Unglück widerfährt. Joseph ist ein siebenjähriger jüdischer Junge, den seine Eltern während des zweiten Weltkriegs in die Obhut eines Paares belgischer Adliger geben. Dann kommt er zu einem Priester, Pater Pons. Es gibt tausend gute Gründe, die Erwachsenen zu hassen, aber die Kinder haben uns nichts getan. Deshalb bricht das Leiden von Kindern - und die besonnene und zugleich naive, fast andächtige Weise, in der sie es betrachten und über sich ergehen lassen - noch jedes Herz aus Stein.

Es ist nicht nötig, da noch etwas hinzuzufügen; im übrigen tut das Éric-Emmanuel Schmitt auch nicht. Er entwickelt seine Erzählung mit einer ruhigen, um nicht zu sagen, stillen Kraft. Die Sätze sind einfach, aber nicht simpel. Schmitt verschont uns auch mit jenem bemüht kindlichen Stil, dessen sich Autoren gerne befleißigen, wenn sie einen kleinen Jungen als Erzähler einführen; und wir wissen ja auch sehr wohl, daß sie das nicht sind, kleine Jungen. Joseph spricht wie Du und ich, vielleicht mit weniger elaboriertem Wortschatz. Das bringt uns diese Figur so nahe. Und dann ist es ja auch so, daß jeder Leser ein vom Leben geschlagenes Kind ist und so wird er sich augenblicklich in einem Kind wiedererkennen, das von seinen Eltern geschlagen wurde. Oder von den Nazis. [...]

Man kann seine Meinung über einen Autor ändern. Das ist nur christlich. Ich habe mich zu Schmitt bekehrt! Das Kind von Noah ist ein im besten Sinn mystisches Buch. Es ist voller Fragen, die jeder Moment eines Erdenlebens aufwirft. Alles ist drollig, alles ist traurig. Die Unschuld ist eine Himmelsgabe, die Erfahrung auch.

Patrick Besson

Psychologie - « Éric-Emmanuel Schmitt vermag es wie kein zweiter ... »

Éric-Emmanuel Schmitt vermag es wie kein zweiter, sich in die Vorstellungswelt von Kindern hineinzuversetzen. Er schildert, was sie bekümmert, faßt ihre kindlichen Gedanken in Worte, ohne daß das Ergebnis je albern wirkt. In seinen beiden vorhergehenden Werken schrieb Oskar mit Hilfe der Dame in Rosa Briefe an Gott, Momo entdeckte dank Monsieur Ibrahim den Koran.

- Dieser dritte Band erzählt, wie sich 1942 Joseph, ein kleiner jüdischer Junge, und ein Priester begegnen. Einem modernen Noah gleich ist dieser fest entschlossen, die jüdische Kultur vor dem Untergang zu bewahren und sie eines Tages an diese von der Geschichte so gebeutelten Kinder weiterzugeben. In den drei Büchern der Reihe regt uns Schmitt auf geschickt-verschmitzte Weise zum Nachdenken an über unseren eigenen Glauben, unsere eigene Humanität. Die Bücher sind pfiffig geschrieben, sensibel, voll Sehnsucht. Man bekommt sie nicht über.

Ségolène Barbé

La Dernière Heure - « Mit Das Kind von Noah legt Éric-Emmanuel Schmitt ... »

Mit Das Kind von Noah legt Éric-Emmanuel Schmitt einen kurzen Roman vor, der ganz philosophische Skizze und Erhellung ist.

Éric-Emmanuel Schmitt, einer der im Ausland meistgelesenen und meistgespielten französischen Autoren und Dramatiker, fügt seinem Zyklus des Unsichtbaren mit dieser ausgefeilten, essentiellen und bewegenden Erzählung ein weiteres Juwel hinzu, wie nur er es zu schaffen vermag.

Isabelle Blandiaux

Le Télégramme - « Es beständig fertigzubringen, Humor und angstvolle ... »

Es beständig fertigzubringen, Humor und angstvolle Erregung miteinander zu verquicken, vor allem, wenn sich das vom Autor gewählte Thema während der Nazibesetzung abspielt, scheint ein schwieriges, ja nahezu unmögliches Unterfangen.

Und der Leser ahnt es wohl: dieses Buch enthält mehr wirklich Erlebtes als romanhafte Vorstellung.Wie Éric-Emmanuel Schmitt uns mit diesem Buch beweist, ist es beileibe nicht die schlechteste Option, sich ohne großer Worte zu bedienen und ohne hochtrabende Reden zu halten, an die uns allen obliegende Pflicht zu erinnern, die darin besteht „die Menschen zu vermenschlichen".
Im Gegenteil: sie haben das nur allzu nötig.

Yves La Prairie

Veröffentlichungen

  • Erschienen auf Bulgarisch bei Lege Artis
  • Erschienen auf Chinesisch bei Eurasian Publishing Group
  • Erschienen auf Deutsch bei Ammann Verlag
  • Erschienen auf Kastlisch bei Anagrama
  • Erschienen auf Niederländisch bei Anagrama
  • Erschienen auf Griechisch bei Opera
  • Erschienen auf Englisch bei Atlantic Books